Sozialhilfe neu denken, um Armut wirksam zu bekämpfen

Norbert Krammer, VertretungsNetz

 

Österreich gibt viel Geld für materielle Absicherung aus, um Menschen, die hier leben oder Ansprüche aus Sicherungssystemen erworben haben, zu unterstützen. Der überwiegende Anteil der Zahlungen stammt dabei aus dem Sozialversicherungssystem – also Pensionsversicherung, Arbeitslosenversicherung, Kranken- und Unfallversicherung mit ihren davon abgeleiteten weitergehenden Leistungen, in das Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen einzahlen. Der Staat gleicht Lücken aus und fördert damit auch die Umverteilung.

Neben diesem ersten sozialen Netz bleiben karitative private Hilfen und das zweite soziale Netz der Armenfürsorge für die Abdeckung individueller Notlagen weiterhin aufrecht.

Obwohl der Sozialstaat rechtlich gut abgesichert ist, werden immer wieder öffentliche Debatten geführt und Einsparungsvorschläge gemacht, weil das System angeblich droht unfinanzierbar zu werden. So erzählen es uns Skeptiker:innen und eröffnen Neiddebatten.

Menschenmenge
(c) Norbert Krammer

Zu geringe Höchstbeträge statt Bedarfsdeckung

Die Sozialhilferichtsätze orientieren sich seit Inkrafttreten des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes (SH-GG) unter der ehemaligen türkis-blauen Regierung wie schon davor an der Ausgleichszulage im Pensionssystem. Dabei gibt es zwei Problemstellen: Erstens wurde der Prozentsatz bei der Berechnung  gekürzt, bei einer in Haushaltsgemeinschaft lebenden Person (Partner:in, erwachsene Kinder, Mitbewohner:in) von 75% auf nun 70%, bzw. bei weiteren volljährigen Personen von 45 auf 40 %. Real bedeutet dies für zwei Personen in Lebensgemeinschaft eine Kürzung von € 1.733,76 auf € 1.618,18, also um € 115,58 monatlich weniger zur Verfügung zu haben. Die politische Botschaft war eindeutig: Gürtel enger schnallen, weil die Sozialhilfe ein Leben ohne materielle Sorgen ermöglicht. Die Mitwirkungspflichten, z.B. der verpflichtende Einsatz der eigenen Arbeitskraft, werden nun schärfer ausgelegt und ziehen ohnehin eine scharfe Grenze zu den bedingungslosen Leistungen des Sozialstaates, wie z.B. Teuerungsausgleich etc.

Die auch in den Medien immer wieder genannten Richtsätze von Sozialhilfe/Sozialunterstützung/Mindestsicherung umfassen grundsätzlich die Unterstützung zum allgemeinen Lebensbedarf und einen Betrag zur Abdeckung des Wohnbedarfs. Im SH-GG wird bei der Aufteilung des Höchstrichtsatzes den Ländern ein gewisser Spielraum gegeben, So teilt Salzburg den Richtsatz in 60% Lebensbedarf und 40% Wohnanteil, während Oberösterreich eine Aufteilung in 75 % Lebensbedarf und 25% für das Wohnen vornimmt. Es gibt auch noch Zulagen für Alleinerziehende, für Menschen mit Behinderungen, aber auch eine Deckelung mit 175 % des Richtsatzes. Die Wohnungskosten können in einigen Bundesländern nach einem komplizierten System überschritten werden, beispielsweise in Salzburg im Rahmen einer eigenen Verordnung im Umfang des höchstzulässigen Wohnaufwandes, gestaffelt nach politischen Bezirken. Die regelmäßig wiederkehrenden kritischen Beiträge über die Sozialhilfe in Medien und seitens der Politik enthalten etliche falsche Behauptungen, was das Ausmaß der Leistungen betrifft.

Armut und Sozialhilfe

Was will die Politik mit den Sozialhilfe-Leistungen erreichen? Während früher in den Landesgesetzen zur Sozialhilfe und zur Mindestsicherung (basierend auf der ausgehandelten Bund-Länder-Vereinbarung) das Ziel der Armutsbekämpfung noch österreichweit in den Gesetzen formuliert war, verschwand diese Zielsetzung mit dem SH-GG aus der Bundesperspektive und wurde in einigen Bundesländern bei den Ausführungsgesetzen ebenfalls gestrichen oder zurückgereiht. Dies steht im Einklang mit der Reduktion der Richtsätze (z.B. bei Mehrpersonenhaushalten, bei Kindern), dem Aufbau von Hürden für wohnungslose Menschen und dem Ausschluss von subsidiär schutzberechtigten Personen. Obwohl von ÖVP/FPÖ immer wieder betont, sind die Zuschläge für Alleinerziehende, für Menschen mit Behinderungen und bei (Wieder-)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keine grundsätzlich neuen Leistungen.

Ein kurzer (und verkürzter) Vergleich: Der Sozialhilfe-Richtsatz für eine Person  beträgt € 1.155,84 (Lebensbedarf und Wohnen), die Pfändungsgrenze liegt bei € 1.420,--, die Armutsgefährdungsschwelle bei € 1.572 und als Referenzbudget hat die Schuldenberatung einen Betrag von € 1.730,-- errechnet.

Die Gesamtausgaben für Mindestsicherung/Sozialhilfe/Sozialunterstützung betrugen im Jahr 2022 gesamt 974 Millionen Euro. Die Gesamtsozialausgaben des Jahres 2023 ergaben 144,8 Mrd. Euro und machen die Sozialhilfe-Ausgaben laut den Daten bei der Statistik Austria 0,67 Prozent aus, seit Jahren stabil. Wieso durch die Ausgaben für Sozialhilfe der Sozialstaat unfinanzierbar werden soll, entbehrt jeder Logik. Sparsam zu wirtschaften ist sicher geboten, aber planlos zu sparen darf nicht sein, denn so wird das Ziel der Armutsbekämpfung sicher verfehlt. Dass dies der Fall ist, hat schon der Verfassungsgerichtshof festgestellt.

Viele Baustellen in der Sozialhilfe warten auf dringende Behebung

Wenn es ein Ziel sein soll, Armut wirksam und nachhaltig u bekämpfen, müssen die derzeitigen Richtsätze dringend erhöht werden. Der Richtsatz für die Ausgleichszulage ist entsprechend anzuheben, damit Pensionist:innen jedenfalls ein Betrag in Höhe des Referenzbudgets monatlich zur Verfügung steht. Wenn der Ausgleichszulagen-Richtsatz entsprechend angehoben wird, reduziert sich auch die in letzter Zeit steigende Altersarmut. Entlastende Effekte würden sich auch bei den Bezieher:innen der Sozialhilfe einstellen.

Die Staffelung der Kinderrichtsätze muss dringend korrigiert werden und ist seit dem VfGH-Erkenntnis überfällig. Wie kam es zu den so unterschiedlichen Richtsätzen und z.T. degressiven Festlegungen? Gegen den Beschluss des SH-GG im Nationalrat wurde von der Oppositionspartei SPÖ ein sogenannter Drittelantrag eingebracht und damit die Prüfung durch den VfGH veranlasst. Die Folge war, dass die degressiven Kinder-Richtsätze wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben wurden. Damit wäre der Bundesgesetzgeber wieder am Zug um das teilweise aufgehobene Gesetz zu reparieren. Da die Bundesregierung bis heute keinen neuen Vorschlag im Parlament einbrachte, war es den Bundesländern möglich, eigene Regelungen zu treffen. Somit gibt es die niedrigen Richtsätze in NÖ und OÖ mit 12 % des Ausgleichzulagen-Richtsatzes, ab dem zweiten Kind degressiv sinkend (25 % bis 12% ab dem fünften Kind). Deutlich höher sind die Richtsätze beispielsweise in Salzburg, mit 25 % für jedes Kind. Bei Mehrpersonenhaushalten variiert die Unterstützung je nach Bundesland daher erheblich. Dies führt auch zu Verwirrung und heizt die Neiddebatte enorm an.

Knackpunkt bei den unterschiedlichen Leistungen der Bundesländer sind die Wohnkosten, die in Wien deutlich höher sind und auch in den westlichen Bundesländern (besonders in den Städten) innerhalb des Richtsatzes kaum abgedeckt werden können. Die eigenen Regelungen für die Wohnkosten, beispielsweise in Tirol, Vorarlberg und Wien, führen dazu, dass die Leistungen ohne Detailkenntnis der Gesetze und Verordnungen nicht mehr vergleichbar sind. Da die Wohnbeihilfe der Länder zwar an die Mieter:innen ausbezahlt wird, aber bei Sozialhilfebezug gleich wieder als Einkommen abgezogen wird, bewirkt sie nur eine Umverteilung innerhalb des Landesbudgets und nützt den armutsgefährdeten Menschen selbst nichts.

Wo bleibt ein System effektiver Hilfe und Armutsbekämpfung?

Es wird Zeit, dass ein neues System der staatlichen Unterstützung für Menschen in materiellen Notlagen entwickelt wird und das unübersichtliche, oft ungerechte Sozialhilfesystem ablöst. Das Weiterbasteln am derzeitigen System erreicht weder das Ziel einer effektiven Armutsbekämpfung, noch entsteht dadurch die Transparenz, die es bräuchte, um Neiddebatten zu vermeiden.

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