Zuständigkeiten und Verantwortungen sind kompetenzrechtlich geteilt und nicht immer exakt abgegrenzt. Bestehende Aktionsplänen auf Bundes- und Landesebene – die dann unverbindlich formuliert werden – müssen weiter auf Realisierung warten oder die Vorhaben werden gar zurückgereiht.
Staatenprüfung bedeutet Aufträge für Österreich
Im Sommer fand die zweite Staatenprüfung Österreichs zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) durch den Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen statt. Als Ergebnis der Kontrolle wurde im August eine ganze Reihe – immerhin 17 Seiten – kritischer Bemerkungen zur Bearbeitung veröffentlicht. Dieses wertvolle Dokument hat Österreich nicht für Dokumentationszwecke erhalten, sondern zum Abarbeiten und Umsetzen, damit der internationale Vertrag der UN-BRK die Rechte stärkt und hilft, das Ziel der Selbstbestimmung für alle Menschen leichter zu erreichen.
Erwachsenenschutzgesetz verlässt die Übergangsphase
Ein zweiter Aspekt, der eng mit selbstbestimmtem Leben von Menschen mit Behinderungen in Österreich in Verbindung steht, ergibt sich aus dem 2. Erwachsenenschutzgesetz (ErwSchG), das seit 1. Juli 2018 in Kraft ist. Mit diesem Bundesgesetz wurde das alte Sachwalterrecht (und einige inhaltlich angrenzende Rechtsbestimmungen) abgelöst und durch neue, dem Geist der UN-BRK verpflichtete Regelungen der Selbstbestimmung und der Vertretung ersetzt. Diese große Justizreform im Vertretungsrecht erfordert eine entsprechende Vorbereitung und daher hat der Gesetzgeber eine relativ lange Übergangsfrist für einzelne Bestimmungen bis Ende 2023 festgelegt. Nun ist es so weit, das Erwachsenenschutzgesetz ist nicht nur in Geltung, sondern muss auch umfassend umgesetzt werden: keine automatische Einschränkung der Geschäftsfähigkeit, nur befristete Vertretungsverhältnisse, Selbstbestimmung trotz Vertretung und ein ganzes Bündel an Beteiligungs- und Entscheidungsrechten für die Person mit geminderter Entscheidungsfähigkeit. Damit signalisiert der Gesetzgeber auch die Abkehr vom medizinischen Modell der Behinderung – das meinte, die Feststellung einer Krankheits-Diagnose alleine würde eine:n Stellvertreter:in rechtfertigen – und gibt dem menschenrechtsbasierten Modell den Vorrang.
Erfolg stark von Umsetzung der UN-BRK beeinflusst
Mit dem Erwachsenenschutzgesetz verfolgt die Justizpolitik das Ziel, die Anzahl der gerichtlichen Erwachsenenvertretungen (auch als übergeleitete Sachwalterschaften) stark zu reduzieren und durch geeignete Alternativen zu ersetzen. Neben den neuen Vertretungsformen der gewählten und der gesetzlichen Erwachsenenvertretung soll insbesondere durch Unterstützungen die Erhaltung der Selbstbestimmung gefördert und eine Vertretung überflüssig werden. Klappt das nicht, gibt es wieder mehr Vertretungsbedarf. Zugegeben, ganz so einfach (und kausal) ist es im Einzelfall nicht, die Tendenz lässt sich aber schon erkennen.
Das Ziel der Reduktion wird auf den ersten Blick erreicht, da von den 52.746 Sachwalterschaften bzw. mit dem Gesetz übergeleiteten gerichtlichen Erwachsenenvertretungen zum 1.7.2016 aktuell nach 5 Jahren zum 1.7.2023 nur mehr 35.653 die Clearing-Maßnahmen und professionelle Suche nach Alternativen durch die Erwachsenenschutzvereine überwinden. Es gibt noch immer viele Menschen, die durch eine:n gesetzliche:n Vertreter:in, nun als gerichtliche:r Erwachsenenvertreter:in bei der Erledigung konkret beschriebener Angelegenheiten unterstützt und vertreten werden. Die Handlungsfähigkeit bleibt im neuen Recht erhalten und nur bei rund sechs Prozent wird gerichtlich ein Genehmigungsvorbehalt angeordnet. Der sinkenden Anzahl der gerichtlich beschlossenen Vertretungsform sind die steigende Zahl der gesetzlichen Erwachsenenvertretung hinzuzurechnen, die Mitte des Jahres 2023 schon 25.018 Personen (aufrecht) umfassten. Völlig neu registriert werden die gewählten Erwachsenenvertretungen, bei denen die Willensbildung der gemindert entscheidungsfähigen Personen deutlich besser zur Geltung kommt. Immerhin 7.442 Personen sind in einem aufrechtem Vertretungsverhältnis.
Die Erfahrung der Erwachsenenschutzvereine, die von den Gerichten immer mit der Abklärung einer Vertretungsnotwendigkeit im sogenannten Clearingverfahren beauftragt werden, zeigt, dass bei passender Unterstützung noch deutlich mehr Reduktion möglich wäre.
Fehlende Unterstützung der Länder
Auch der UN-Fachausschuss kritisiert bei den abschließenden Bemerkungen zur Staatenprüfung in Punkt 29 zu Artikel 12, Gleiche Anerkennung vor dem Recht, sehr deutlich, dass die hohe Zahl von Vertretungen „insbesondere den Mangel an gemeindenahen Leistungsangeboten der Länder zur unterstützten Entscheidungsfindung“ widerspiegelt, aber auch die mangelnde Kenntnis des Gesetzes in vielen Teilen des Staates und der Gesellschaft. Österreich wird als Vertragsstaat des internationalen Vertrags empfohlen die gemeindenahen Leistungsangebote – insbesondere diejenigen, die in die Kompetenz der Länder fallen – erheblich zu verstärken und umzusetzen. Immer wieder wird Österreich darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung nicht nur den Bund, sondern in vielen Bereichen die Bundesländer betrifft. Gemeindenahe Angebote und Unterstützungen liegen jedenfalls in der Verantwortung der Länder und Kommunen. Da hilft auch kein Warten auf ein österreichweites Angebot oder eine einseitige Verantwortungszuschreibung Richtung Bund. Gerade in einem föderalistisch strukturierten Staat wie Österreich bedarf es des Willens aller zu einer gemeinsamen Lösung.
Schulung für alle öffentlichen und privaten Einrichtungen
Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit benötigen im Einzelfall Unterstützung, um ihre Angelegenheiten ohne Nachteile und selbstbestimmt zu erledigen. Fehlt die Unterstützung im gemeindenahen Bereich, wird der Ruf nach einer Vertretung laut. Streng genommen kann in dem Fall, dass die Vertretung durch Unterstützung nicht (mehr) notwendig wäre, eine Erwachsenenvertretung gar nicht entstehen. Fehlende Unterstützungen für die Entscheidungen können aber aus faktischer Notlage trotzdem zur Bestellung von Erwachsenenvertreter:innen führen oder die Beendigung dieser Vertretungsform verhindern und Selbstbestimmung reduzieren.
Das erforderliche Zusammenwirken von UN-Behindertenrechtskonvention und Erwachsenenschutzgesetz erscheint oftmals zu abstrakt und zu theoretisch. Manchmal muss genau darin der Grund für die fehlende Umsetzung vermutet werden.
Daher empfiehlt der Ausschuss in seinen abschließenden Bemerkungen, dass „die Beschäftigten aller öffentlichen und privaten Einrichtungen, denen bei der Durchführung des Gesetzes eine Rolle zukommt, entsprechend zu schulen“ sind (Empfehlung zu Artikel 12).
Umsetzungsplan fehlt noch immer!
Die Staatenprüfung Österreichs hat neben Anerkennung der Bemühungen und Lob für kleine Verbesserungen in den letzten Jahre einen langen Katalog mit Empfehlungen hervorgebracht, der als Auftrag zu verstehen ist. Auf siebzehn Seiten werden zu den einzelnen Artikeln der UN-Behindertenrechtskonvention Einordnungen bei der Umsetzung vorgenommen und – oft auch dringende – Empfehlungen formuliert. Dies trifft auch die gleiche Anerkennung vor dem Recht und damit das Zusammenwirken mit der Entwicklung einer erfolgreichen Umsetzung der Ziele und Vorgaben des Erwachsenenschutzgesetzes.
Es ist Zeit! Die Länder müssen Initiative für eine lückenlose Umsetzung der Behindertenrechtskonvention zeigen, damit Menschen mit Beeinträchtigungen passende und ausreichende Unterstützung erhalten und Selbstbestimmung im Alltag zur Regel wird