Armut in der Krisengesellschaft

Stärkung sozialer Rechte nowendig

Am 31. März folgten über 80 Personen der Einladung der Sozialplattform zu einer Buchpräsentation des Ende 2024 erschienen Sammelbands „Armut in der Krisengesellschaft“, die in Kooperation mit der AK Oberösterreich organisiert wurde. Das Buch nimmt die Auswirkungen der aktuellen Polykrise, also die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Krisen (etwa: Klima-, Gesundheits- oder Teuerungskrise), auf Armut und Armutsbetroffene sowie unterschiedliche Ansätze der Armutsmessung und Armutsbekämpfung in den Fokus. "Ich glaube, wir haben vieles im Kampf gegen Armut anzubieten. Wir haben ausreichend Ressourcen, wir müssen sie nur verteilen", meinte Vorstandsvorsitzende Magdalena Danner in ihrer Begrüßung.

Für die Buchpräsentation konnten mit den Herausgeber:innen Christa Stelzer-Orthofer, Martin Schenk und Nikolaus Dimmel drei Expert:innen der Armutsforschung für Inputs gewonnen werden, die das Thema aus durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet haben.

Christa Stelzer-Orthofer berichtete über die Entstehungsgeschichte des Buches und betonte, dass sie an die Widerstandsfähigkeit des Sozialstaates glaube. Ein großer Teil der Gesellschaft hat sozialstaatliche Ziel mitgetragen und noch immer sei der überwiegende Teil der Bevölkerung dafür, dass der Staat bei Fragen zur Pflege und Verteilung eingreifen muss. "Der Sozialstaat wurden in den 1980er und 1990er-Jahren umgedeutet - vom Problemlöser zum Problemverursacher", merkte die Armutsforscherin allerdings kritisch an. Stelzer-Orthofer widmete sich auch der wichtigen Frage vom Vertrauen in die Demokratie, das besonders bei einkommensschwachen Menschen schwindet.

Nikolaus Dimmel sieht das Instrumentarium im Sozialstaat als nicht ausreichend abgestimmt, hier seien viele Maßnahmen historisch zufällig entstanden oder auch zu föderalisiert, wie beispielsweise die Sozialhilfegesetze. Ein Augenmerk legte Dimmel auf das Thema „Wohnen“ gelegt, das ein menschliches Grundbedürfnis und einen zentralen Ausgabenposten für viele Haushalte, die über kein Wohneigentum verfügen, darstellt. Wohnen wurde in der Buchpräsentation als zentrales Armutsrisiko identifiziert und der Mietwohnungsmarkt als „Geldstaubsauger“ beschrieben: Hier werden Finanzmittel von einer wachsenden Zahl von durch Wohnkosten überlasteten Haushalten hin zu einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Vermieter:innen verschoben.

In diesem Kontext werden staatliche Eingriffe wie Transfers (z.B. Wohnbeihilfe) durchaus als kritisch weil nicht nachhaltig und ordnungspolitische Eingriffe (z.B. Reduktion der im MRG erlaubten Zuschläge) in die Diskussion eingebracht. Wohnbeihilfe und auch andere monetäre Transfers als ein Bestandteil der Trias von Geld-, Sach- und Dienstleistungen zur Armutsbekämpfung sind – dies wurde mehrmals betont – durchaus kritisch zu hinterfragen: Norwegen etwa unterstützt Pflegebedürftige mit ihren Ausgaben nicht mit einer Art Pflegegeld, sondern über „vouchers“, mit denen vielfältige Leistungen zugekauft werden können. Sachleistungen wiederum müssen so ausgestattet werden, dass diese nicht paternalistisch und damit für die Betroffenen als bevormundend wirken.

Martin Schenk setzte sich in seinem Input damit auseinander, wie ÜBER Armut und Armutsbetroffene gesprochen wird. Besonders eindrücklich war sein Einstieg, in dem er den Diskurswechsel von der Ausgrenzung zur "Verfolgung" von Menschen, die wenig Einkommen haben, thematisierte.

Als Maßnahme der Stärkung sozialer Rechte wird die Definition von „basic services“, also Dienstleistungen, die allen ohne Rücksicht auf ihre finanzielle Situation bedarfsgerecht zustehen sollen, angeregt. Als Beispiel werden hier etwa „Frühe Hilfen“ als Unterstützung für Familien in den ersten Lebensjahren ihres Kindes genannt. Im Sammelband plädieren die Herausgeber:innen für die Implementierung sozialer und kultureller Grundrechte etwa in der Verfassung, in der bislang nur wirtschaftliche Grundrechte – wie das Recht auf Erwerbs- und Eigentumsfreiheit verankert sind – enthalten sind.

Die Buchpräsentation unterstrich die Bedeutung des Sozialstaats in der Bewältigung von Krisen und der multidimensionalen Problemlage Armut und zeigte auf, dass sich sozialstaatliche Instrumente verändern müssen, um in der Armutsbekämpfung nachhaltig(er) wirksam zu sein.

Hansjörg Seckauer hat ebenfalls einen Nachbericht für die Veranstaltung verfasst.

Mitschnitt der Podiumsdiskussion auf Radio FRO

Martin Schenk, Christa Stelzer-Orthofer, Nikolaus Dimmel und Moderatorin Iris Woltran am Podium
Martin Schenk, Christa Stelzer-Orthofer, Nikolaus Dimmel und Moderatorin Iris Woltran am Podium (c)MecGreenie

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